„Es gibt unter den geflüchteten Ukrainerinnen viele, die problemlos aushelfen könnten, auch viele Rentnerinnen und Rentner wären bereit, in Randzeiten stundenweise mitzuarbeiten“. Und er rechnet aus: „Wenn alle Frauen, die aktuell in Teilzeit beschäftigt sind, durchschnittlich zwei Stunden am Tag länger arbeiten würden, würde das so viel bringen wie 500.000 Arbeitskräfte“.Quelle: Deutschlandfunk
Frauen in Teilzeit – Kreative Problemlösung für Kinderbetreuung
Et voilà! Problem gelöst. Kitas können länger geöffnet bleiben, Frauen in Teilzeit arbeiten einfach länger und Geflüchtete und Rentnerinnen und Rentner sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt versorgt. Eine adäquate Ausbildung?
Ach was. Ein paar Kinderlieder singen kann schließlich jeder. Und die karge Rente ist damit gleichzeitig aufgestockt.
Wir von #ArmutVerbindet haben uns auf Twitter darüber Gedanken gemacht und mal die Frauen, die in Teilzeit arbeiten, um ihre Meinung gebeten.
Frauen in Teilzeit – Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Frauen in Teilzeit, so hat unsere Twitterumfrage gezeigt, halten wenig von dem Wunsch Adrians mehr zu arbeiten. Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Unterm Strich weniger Geld
Erhöhte Stundenzahlen bedeuten unter Umständen höhere Sozialabgaben und erhöhte Betreuungskosten. Unterm Strich haben Frauen in Teilzeit also weniger Geld in der Lohntüte zur Verfügung bei zwei Stunden Mehrarbeit am Tag. Für Alleinerziehende und Familien mit geringem Einkommen bedeutet das eine besondere Herausforderung trotz Inflation finanziell über die Runden zu kommen.
Weniger Zeit für Kinder
Viele Frauen befürchten weniger Zeit für ihre Kinder zu haben. Sie möchten sie nicht abschieben um 500.000 Arbeitskräfte zu ersetzen. Frauen in Teilzeit arbeiten oft aus gutem Grund nur Teilzeit.
Alleinerziehende (m/w/d) arbeiten oft in Teilzeit, um ihre Kinder adäquat zu versorgen. Darunter fallen Nachmittagstermine bei Ärzten und Therapeuten, Spielverabredungen oder gemeinsame Eltern-Kind-Zeit, die wichtig für die Entwicklung von Kindern ist.
Kinder haben ein Recht auf Bildung und Gesundheit. Längere Betreuungszeiten bedeuten weniger soziale Teilhabe in Vereinen oder auch weniger Zeit für soziale Kontakte außerhalb von Kita oder Schule. Teilhabe in Vereinen bedeuten soziale Interaktionen, individuelle Bildung, Förderung von Alltagskompetenzen und soziale Kompetenzen.
Individuelle Bedürfnisse der Kinder werden nicht berücksichtigt
Andere Kinder benötigen Unterstützung bei den Hausaufgaben, die in einer Nachmittagsbetreuung so nicht gewährleistet werden kann, da jedes Kind spezielle Bedürfnisse hat. Darüber hinaus sind die Lerngruppen viel zu groß, um in Ruhe arbeiten und sich konzentrieren zu können. Und nicht selten sind die Betreuungspersonen keine ausgebildeten Fachkräfte, die ausreichend unterstützen können. Das kann sich negativ auf die schulischen Leistungen auswirken. Schlechtere Noten bedeuten in Folge weniger Bildungsgerechtigkeit für Kinder. Besonders betroffen davon sind dann wieder Kinder und Jugendliche aus finanziell benachteiligten Familien.
Ich kann mich noch gut an die Grundschulzeit meiner Kinder erinnern, die in der Nachmittagsbetreuung oftmals, so wie andere Kinder auch, Aufgaben nicht lösen konnten. Also glühte Abends die Eltern WhatsApp Gruppe vor lauter Fragen. Abends, wenn eigentlich Familienzeit angesagt war, mussten die Kinder nach einem 8-Stunden-Tag noch weiterlernen. Allerdings waren sie dann kaum noch aufnahmefähig. Die Hausaufgaben waren zwar erledigt, aber verinnerlicht hatte keins der Kinder die Lösungsschritte und das „erlernte“ Wissen. Das traut man nicht mal erwachsenen Arbeitnehmern zu.
Eine Userin fragt: Hi, ich arbeite 30 h im ÖD, mein Mann Vollzeit. Das ist organisatorisch und von der Belastung her bei uns das Limit. Würde ich mehr arbeiten, müsste mein Kind länger betreut werden, was natürlich mehr kostet. Das, was ich dann also mehr an Gehalt hätte, könnte ich direkt an die Stadt weiterleiten und ich hätte weniger Qualitytime für mein Kind. Ist also kein Anreiz für mich. Es wundert mich nicht, dass der Vorschlag von einem älteren Herrn kommt. Ich würde auch gerne den DIHK-Präsidenten fragen, wieviel er -wenn er Kinder hat- wohl bei der Erziehung beigetragen hat. Ich wette, dass sein Anteil da sehr überschaubar war.
Sehr geehrter Herr Adrian, laut unseren Recherchen sind Sie verheiratet und haben sogar vier Kinder.
Gerne würden wir uns mit Ihnen darüber austauschen, wie die elterliche Care-Arbeit in Ihrem Haushalt aufgeteilt wurde und die Frage der Userin damit beantworten. Eine weitere Frage zum besseren Verständnis: Ist oder war Ihre Frau berufstätig und wenn ja wie viele Stunden täglich neben der Care-Arbeit?
Vielleicht haben Sie ja ein paar Tipps für Frauen in Teilzeit, so als Mann.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Team #ArmutVerbindet
Eine andere Mutter beschreibt ihre persönlichen Erfahrungen mit Vollzeit-, Teilzeit- und Familienarbeit. Sie berichtet, dass sie aufgrund von gesellschaftlichen Erwartungen zerrissen war und durch fehlende Informationen keine Möglichkeit hatte nach der Erziehung ihrer Kinder wieder Vollzeit im öffentlichen Dienst zu arbeiten.
Sie kritisiert die ungleiche Steuerklasse und die Steine die Frauen in den Weg gelegt werden, um ihre Karriere voranzutreiben. Probleme gab es ebenfalls mit der Kinderbetreuung und dem Arbeitsweg der damit verbunden war. Inzwischen sind die Kinder groß und obwohl die Userin jetzt das Privileg hat ihre Arbeit nach Belieben zu gestalten, erkennt sie, dass viele Frauen, insbesondere Alleinerziehende, heute viel größere Schwierigkeiten haben.
Randbetreuungszeiten – Nicht in KiTa oder Schule!
Randbetreuungszeiten in KiTas und Schulen sind keine gesunde Lösung für Kinder und ihre speziellen Bedürfnisse wie Geborgenheit und vertraute liebevollen heimische Umgebung.
Kinder mitten in der Nacht aus dem Bett zu reißen, damit Elter(n) mehr arbeiten gehen können, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken, ist mit allem gebührenden Respekt, eine hirnverbrannte Idee sondergleichen. Es ist unmenschlich und lässt den Stellenwert der Kinder in Deutschland deutlich erkennen. Ihr seit erst etwas wert, wenn ihr arbeiten könnt und somit für die Wirtschaft und den Handel interessant seid.
Randbetreuungszeiten sollten von geschulten Personen durchgeführt werden, die in den Haushalten die Elter(n) ablösen, wenn diese zur Arbeit fahren. Diese Betreuungspersonen können die Kinder wie gewohnt wecken, versorgen und stressfrei in Schule oder KiTa bringen. Gleiches gilt umgekehrt für den Abend, wenn die Eltern noch arbeiten. Es ist eine unterstützende Tätigkeit und verlangt von beiden Seiten großes Vertrauen.
Wir können unsere Kinder nicht einfach Menschen überlassen, die keine Ahnung von den speziellen Bedürfnissen mancher Kinder haben. Behinderung, chronische Krankheiten und andere Abweichungen von der gesellschaftlich akzeptierten Norm sind eine große Herausforderung und bedürfen Fachwissen und eine gehörige Portion Vertrauen.
Aber selbst, wenn es solche Randbetreuungsangebote geben würde, sind diese vermutlich nur wieder privilegierten Menschen mit ausreichendem Einkommen vorbehalten, die durch die Nutzung keine finanziellen Einbußen hinnehmen müssen.
Also nichts für Millionen Alleinerziehende oder Familien mit geringem Einkommen. Da wäre eine Kindergrundsicherung eine wertvolle Hilfe.
Fachkräftemangel
Der Chef der Deutschen Industrie- und Handelskammer bedient sich mit der Arbeitszeitverlängerung für Frauen der Angst vor dem Fachkräftemängel. Natürlich besteht, gerade im Bereich der Kitas, ein Fachkräftemangel. Auf die Idee, dass es an der schlechten Bezahlung liegen könnte, kommt er im Interview allerdings nicht.
Die einen wollen, die anderen dürfen nicht
Die Diskussion um den Fachkräftemangel, den es gerade im sozialen und handwerklichen Bereich gibt, ist nicht neu. Auf der einen Seite haben wir Erwerbslose, denen keine Chance mehr gegeben wird, weil sie den Stempeln Hartz IV auf ihrer Bewerbungsmappe stehen haben, auf der anderen Seite, rackern sich die Menschen in Überstunden ab.
Wir von #ArmutVerbindet haben die Aussage von Adrian vermisst, dass es nicht gilt, mehr Arbeit zu kreieren, sondern die vorhandene Arbeit gerecht zu verteilen. Darunter verstehen wir, dass wir alle menschlichen Tätigkeiten auf die Einzelnen gleichmäßig verteilen. Dazu zählen für uns: die Erwerbstätigkeit, die Reproduktionstätigkeit (Familienarbeit, Sorgearbeit, Arbeit an sich selbst, an andere Menschen und der Natur), Arbeit in der eigenen Entwicklung (z.B. Bildungschancengleichheit) und in der Politik (die einen machen Politik, die anderen müssen sie ausbaden).
Verteilen wir die Arbeit
Die Frage stellt sich doch, warum der DIHK-Präsident sich auf die Frauen fokussiert? Wir wissen doch alle: Teilzeitarbeit führt i.d.R. in die Altersarmut. Das betrifft zumeist die Frauen, da sie mehrheitlich in Teilzeit arbeiten. Die Teilzeitarbeit gibt kaum Aufstiegschancen und wird bis heute sehr gerne belächelt. Und wer schon mal in Teilzeit gearbeitet hat, kennt das Phänomen, dass in kürzerer Zeit, viel Arbeit erledigt werden muss, als in einem 8-Stunden-Tag, wo die Chance besteht die Arbeit zu strecken.
Kommen wir aber wieder zurück zur Verteilung die vorhandene Arbeit gerecht zu verteilen. Wie wäre es, wenn wir den 8-Stunden-Tag verkürzen und über die neu freigewordene Zeit selbst verfügen könnten? Wie wäre es, diese Zeit unserer Familie, uns selbst oder der Natur zu schenken? Wir gewinnen Zeit für ein neues Miteinander, für unsere Kinder, für unsere Familie, Freunde und alles was uns Freude macht oder uns neue Freude bringt.
Gleichzeitig könnten sich zwei Menschen einen Arbeitsplatz teilen. Inzwischen gibt es immer mehr Betriebe, die eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich durchführ(t)en und feststellten, dass der Umsatz im Betrieb stieg, die Krankheitstage um 65 Prozent sanken, die Kündigungswelle um mehr als die Hälfte sank und „rund vier von zehn Beschäftigten angaben, sich weniger gestresst zu fühlen als vor Beginn des Versuchs“.
Weniger zu arbeiten ist ein Lernprozess und eine Herausforderung für uns alle. Statt Arbeit aufzustocken, um hinterher zu schauen, wie Arbeit und Familie oder Sorgearbeit an sich selbst unter einen Hut zu bringen, bevor ein Burnout kommt, sollten wir über unsere Lebensweise und Zeitgestaltung nachdenken. Das wäre doch mal was.
Das Highlight der Woche 8/2023 wurde geschrieben von Inge Hannemann und Nicola Dülk