Frauen in Teilzeit - Belastung Familie und Beruf

Frauen im Alltagsstress

 

Die CDU denkt die Tage über sich und ihrer Politik nach. Sie nennen es „Grundsatzprogramm“ und dafür gründeten sie zehn Fachkommissionen. Man trifft sich unter anderem am Comer See und an Christi Himmelfahrt wird eine dreitägige Klausur in der Villa La Collina starten. Dort hat bereits Konrad Adenauer in der Villa in Cadenabbia seine Urlaube verbracht.

Die Jobcenter als Amazon-Plattform

Teile des „Grundsatzprogramms“ sind bereits durch die CDU an die Öffentlichkeit gelangt. Einen Auftritt hatte CDU-Vize Carsten Linnemann beim Ludwig-Erhard-Gipfel. In einer Talkrunde kritisiert Linnemann die „Fördertopf“-Mentalität der Unternehmen: „Der Staat wird gesehen wie eine Amazon-Plattform, wo ich alles bestellen kann und der Staat alles organsiert“. Welche Fördertöpfe er damit meint, erläutert er leider nicht. In den ganzen Diskussionen um Sozialleistungen und um den Sozialstaat, kommt die Diskussion um die Förderungen von Unternehmen kaum vor. Unternehmen neigen nämlich gerne dazu beim Jobcenter oder den Agenturen für Arbeit sogenannte Eingliederungszuschüsse für Erwerbslose zu beantragen, um ihre eigenen Lohnzahlungen zu senken. Es ist eine Lohnsubvention für die Unternehmen der Steuerzahlerinnen oder Steuerzahler und über die Sozialversicherungsleistungen der Arbeitslosenversicherung. Die Eingliederungszuschüsse unterliegen starken Schwankungen. Je nachdem, wie viel Geld die Behörden zur Verfügung haben. Im Jahr 2005 gab es 60.300 (18.600 im SGB II, 41.700 im SGB III) Förderungen. 2009 stieg die Zahl auf 136.000 und 2019 waren es nur noch 53.900 (24.700 SGB II – Hartz IV, 29.200 SGB III – Arbeitslosengeld I – Arbeitsmarktpolitische Instrumente, BA 2020). Von November 2021 bis November 2022 wurden rund 80.000 Leistungsberechtigte gefördert.

Bereits 2015 kritisierte der Bundesrechnungshof die Eingliederungszuschüsse bei Zeitarbeitsfirmen als Steuerverschwendung. So heißt es, dass Zeitarbeitsfirmen „ungerechtfertigt begünstigt“ werden, da sie selbst nicht vor Ort Minderleistungen bei Arbeitnehmer*innen ausgleichen. Das machen die Unternehmen selbst und haben damit „den Aufwand für die Behebung der Minderleistung“. Trotzdem kassieren aber die Zeitarbeitsunternehmen den Zuschuss – ohne einen entsprechenden Aufwand zu haben. Der Bundesrechnungshof wird noch schärfer, indem er von „Lohnsubvention für einzelne Unternehmen“ spricht. Allein in den Jahren 2013 und 2014 wird von einer Fördersumme von knapp zehn Millionen EUR gesprochen. Mit Beginn der Agenda 2010 stieg die Zeitarbeit rasant an. Waren es zu Beginn noch rund 300.000 Leiharbeiter, waren es im Jahresdurchschnitt 2021 rund 815.900. Jedes zweite Arbeitsverhältnis endete allerdings innerhalb von sechs Monaten (BA, Entwicklungen in der Zeitarbeit, Dezember 2021). In diesem Punkt sind die Jobcenter und die Agentur für Arbeit seit vielen Jahren die Amazon-Plattform für die Unternehmen, wenn es um Lohnsubventionen geht. Ob das Linnemann allerdings in diesem Moment bewusst war, bleibt offen.

Mehr Vollzeit wagen

Aber nicht nur die Fördertöpfe sind ein Problem für Linnemann, sondern dass die Menschen immer weniger arbeiten wollen. Zu viele wollen in Teilzeit arbeiten, resümiert er. Zwar sei die Zahl der sozialversicherungspflichten Beschäftigen in den vergangenen Jahren von 40 Millionen auf 45 Millionen gestiegen, die Zahl der Arbeitsstunden aber konstant geblieben, so Linnemann weiter. Im Jahresdurchschnitt 2022 waren knapp 34,5 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt (statista). Die Bundesagentur für Arbeit weist im Februar des Jahres rund 34,6 Millionen und 7,4 Millionen Beschäftigte auf Minijob-Basis aus. Wie kommt es nun zu dieser Differenz? Linnemann zitiert die Gesamtzahl aller Erwerbstätigen: Selbstständige, Beamte und geringfügige Beschäftigte. Aber hat er mit seiner Aussage und den Arbeitsstunden recht? Die Arbeitsstunden berechnen sich auf ein Jahresarbeitsvolumen in Milliarden Stunden. Diese blieben seit 1992 bis 2022 mit 61,2 Stunden relativ konstant.

Erwerbstätige und Jahresarbeitsvolumen 1992-2022 – Quelle: Sozialpolitik-aktuell.de

Tatsächlich stieg die Teilzeitarbeit der abhängig Beschäftigten zwischen 1991 und 2019 von 14 Prozent auf 29 Prozent an. In der Teilzeitquote werden alle abhängig Beschäftigte und auch geringfügige Beschäftigte, Auszubildende und Beamte, die in Teilzeit arbeiten gezählt. Im Jahr 2021 waren es ca. 11,4 Millionen abhängig Beschäftigte. Fast die Hälfte davon waren Frauen. Männer arbeiteten zu zwölf Prozent in Teilzeit. Der Rest verteilt sich auf die Minijobs. Gerade Frauen verzichten aufgrund familiärer Verpflichtungen auf eine Vollzeitstelle (43,5% Statistisches Bundesamt). Parallel besteht oftmals die Schwierigkeit Berufstätigkeit und Familie miteinander zu vereinbaren. Nicht immer findet sich ein Betreuungsplatz für die Kinder oder sie pflegen Angehörige. Trotzdem hat die Erwerbstätigkeit von Frauen stark zugenommen: Lag sie 1991 noch bei 54 Prozent, stieg sie 2020 auf rund 71 Prozent an.

Teilzeitquote insgesamt Geschlecht 1991-2021 – Quelle: Sozialpolitik-aktuell.de

Linnemann pauschaliert, wenn er die Meinung vertritt, dass   mehr Menschen weniger arbeiten wollen und dabei ignoriert, dass zum einen oftmals familiäre Gründe eine Rolle spielen oder, wie das Statistische Bundesamt errechnet hat: „Jede fünfzehnte Teilzeitkraft will Vollzeit arbeiten“ – nur finden sie keine Vollzeitstelle. Wenn Linnemann fordert, dass wir Vollzeit arbeiten sollen, fordert er, ohne zu liefern: Ganztagsbetreuung für die Kinder und Ausbau dessen, ganzheitliche Pflege der Angehörigen und damit einen massiven Ausbau der Pflege. Warten wir gespannt das Grundsatzprogramm in diesem Punkt ab, um zu lesen, wie sich die CDU diese Entwicklung im Genauen vorstellt. Insbesondere, inwieweit die Ausgestaltung für Menschen geht, die nicht in Vollzeit arbeiten können oder deren familiären Verhältnisse das nicht hergeben.

Statt Rente: Geh arbeiten

Linnemann erlaubt „jedem Rentner, der das gesetzliche Rentenalter erreicht hat, weiterzuarbeiten“. Fein. Neben der Rente zu arbeiten, um der Altersarmut entgegenzuwirken, ist heute keine Seltenheit mehr. Es gibt kein Gesetz, welches es verbietet, dass im Rentenalter weitergearbeitet wird. Und seit diesem Jahr besteht auch keine Hinzuverdienstgrenze mehr. Ausnahmen gibt es bei der Erwerbsminderungsrente. In 2021 haben sogar 17 Prozent der über 65-Jährigen noch gearbeitet (Statistisches Bundesamt). Neu bei Linnemann ist, dass die Einkünfte steuerfrei sein sollen. Derzeit werden Einkommen versteuert. Ausnahmen bilden Minijobs.

Wer Bürgergeld bezieht, hat eine Bringschuld

Mit großem Tam-Tam wurde das Bürgergeld dieses Jahr eingeführt. Die CDU boykottierte es von Anfang an. Auch wenn bisher von der Reform nicht viel zu spüren ist und die meisten Änderungen sowieso erst zum Sommer kommen sollen, stichelt Linnemann erneut. Am liebsten möchte er das Bürgergeld wieder „in der Form abschaffen“. Für ihn suggeriere der Name, „dass es sich nicht um eine Sozialleistung handele, sondern um Geld, das jeder bekomme“. Linnemann kritisiert im weiteren Verlauf die hohe Anrechnung des Hinzuverdienstes und kommt dabei auf die Schwarzarbeit zu sprechen. Anstatt jedoch die Alternative einzubringen den Hinzuverdienst beim Bürgergeld attraktiver zu gestalten, möchte Linnemann eine Arbeitspflicht etablieren. Dazu nennt er Dänemark als Beispiel, wo man mindestens 250 Stunden arbeiten müsse, um das volle Arbeitslosengeld zu erhalten. In Dänemark wurde in der Vergangenheit darüber diskutiert, dass Geflüchtete eine „Arbeitspflicht“ aufgebürdet bekommen. Wer in Dänemark arbeitslos ist, kann seine Arbeitslosengeldperiode verlängern, indem man stundenweise arbeitet. Jede Arbeitsstunde verlängert die Arbeitslosengeldbezugsperiode um zwei Stunden. Die Dänen berechnen die Arbeitslosigkeit in Stunden. Von einer 250 Stunden-Pflicht ist auf der dänischen Behörde-Seite nichts zu lesen. Man kann, muss aber nicht. Allerdings besteht die Pflicht an allen Aktivierungsmaßnahmen teilzunehmen, die zuvor individuell besprochen werden.

Linnemann ignoriert vieles, wenn er fordert, dass „jeder, der vom Staat Geld erhält, auch eine Bringschuld hat und arbeiten gehen muss“. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet Monat für Monat in ihrem Monatsbericht aus, wie viele “arbeitslos-gemeldete” arbeiten oder sonst wie beschäftigt sind. Für das Bürgergeld galt im Januar (jüngere Zahlen liegen nicht vor): 2,3 Millionen waren arbeitslos gemeldet und 2.351.000 waren leistungsberechtigt, ohne arbeitslos zu sein. Warum? Sie nahmen entweder an einer Maßnahme der Arbeitsförderung teil, sie waren zu alt für die Statistik, sie übten eine Erwerbstätigkeit mit mehr als 15 Wochenstunden aus, sie waren krank oder sie waren in Erziehungszeit, pflegten ihre Angehörigen oder besuchten eine Schule. Sollen diese Menschen nun auch alle arbeiten? Die Kinder und die Angehörigen in die Ecke stellen? Aktivierende Maßnahmen alle streichen? Schule abbrechen? Krank arbeiten und damit das Gesundheitssystem entlasten? Überspitzt gefragt. Oder ist das der heimliche Wunsch der CDU? Die Bringschuld und die Arbeitspflicht klingen schon ein wenig danach. Mal abgesehen davon, dass der Stempel Hartz IV, Bürgergeld noch immer stigmatisiert, dass in den letzten Jahren für sehr viele keine Förderung stattfand und diese Menschen für den Arbeitsmarkt verbrannt sind oder inzwischen zu alt. Auch diese Realität sollte Linnemann sehen. Mit Glück findet jemand mit 55+ eine Arbeit. Flexibilität in jede Richtung ist heute gewünscht. Wer alleinerziehend ist, benötigt ein funktionierendes Netzwerk. Das war schon immer so. Nicht überall gibt es eine Ganztagsbetreuung in der Kita, im Kindergarten oder in der Schule.

Fazit 

Linnemann bleibt der unsozialen Sozialpolitik der CDU treu. Von einer „sozialen Sicherung“ kann nicht gesprochen werden, wenn er Erwerbstätige in Teilzeit, Rentnerinnen und Rentner und Erwerbslose ignoriert und pauschal als arbeitsfaul diffamiert. Es kann noch viel darüber geschrieben werden, dass ein Großteil der abhängig Erwerbstätigen nicht mal das Rentenalter erreicht haben, weil sie vom Arbeiten erkrankt oder verstorben sind. Es ist bis heute die CDU, die die gewollte Armut in unserem Sozialsystem verteidigt und zementiert. Auch darüber verliert Linnemann kein Wort. Die Erhöhung im Rahmen des Bürgergeldes ist ein Witz. Die über die Jahre stattgefundene Dequalifizierung durch die Agenda 2010, insbesondere durch den Niedriglohnsektor und durch den Faktor „Hauptsache Arbeit“ wird auch in der Talkrunde verschwiegen. Die dadurch verkorksten Lebensläufe von hoch qualifizierten Fachkräften sind kaum mehr aufzuholen. Von den seelischen Verwundungen ganz zu schweigen. Alles dieses wird unter den Teppich gekehrt. Ja, wir haben Arbeit. Aber ganz selten die Chance für Menschen in Erwerbslosigkeit, vor allem aus der längeren Erwerbslosigkeit, diese Arbeit angeboten zu bekommen. Und darüber sollte Linnemann lesen und nachdenken. Die CDU sollte in ihrem Grundsatzprogramm die Chance wahrnehmen und aus der Problematik der vergangenen Agenda 2010 die Lehre ziehen, dass nur eine tatsächliche Qualifizierung mit anerkanntem Abschluss die Chance erhöht, wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Gleichzeitig müssen finanzielle Ängste durch die derzeitigen zu geringen Sozialleistungen abgebaut werden, um sich überhaupt wieder auf etwas neues konzentrieren zu können. Wer finanzielle Sorgen hat, muss sich darum kümmern. Der ist ausgelaugt. Deren Kräfte schwinden. Wer möchte, dass mehr Menschen arbeiten, muss dafür sorgen, dass gute Arbeitsbedingungen herrschen. Das gilt umso mehr in den Kitas, Kindergärten und Schulen, sofern Linnemann weiter auf Vollzeittätigkeit besteht. Wo kein Personal ist, da gibt es keine Kita oder weiteres. Wer „soziale Sicherung“ möchte, sollte ganzheitlich denken. Arbeit ist das eine. Das Drumherum, ist das andere, was umso mehr stimmen muss.

Das Highlight der Woche 18/2023 wurde geschrieben von Inge Hannemann.