Was lange währt, wird endlich gut? Zumindest, wenn es nach Ricarda Lang (Bündnis 90 / Grüne) geht: „Das 49-Euro-Ticket kommt zum 1. Mai. Vor 1,5 Jahren hätte sich das noch niemand vorstellen können. Wir durchbrechen endlich den Tarifdschungel, machen Mobilität bezahlbar und stärken das Klima“.
Mit 49 Euro monatlich quer durch Deutschland. Das ist schon schick. Ein Ticket, ein Tarif und ganz Deutschland fährt Bahn. Vom Flensburg bis zum südlichsten Zipfel nach Lörrach. Hin und zurück. Mit der Regionalbahn versteht sich. Einen Urlaubstag für rund 20 Stunden Fahrzeit und durchschnittlichen 11 Umstiegen inklusive. Ok, wir geben zu: Das ist natürlich überspitzt. Wer hält das schon durch? Dazu benötigt es einen durchtrainierten Körper, um die des öfteren vorkommenden sieben Minuten Umsteigezeiten zu erreichen. Dann halten wir uns realistischerweise an die Aussage ihrer Parteigenossin Renate Künast:
„Einfach & günstig für alle und entlastet vor allem Pendler“. Ein Stückchen Realismus Plus. Es ist das Ticket für Pendler. Bisherige regionale Monatsticket übertreffen die 49 Euro häufig bei weitem. Wer ein Jobticket hat: Gratulation. Der kam möglicherweise günstiger davon. Der Diskussion um das 49-Euro-Ticket ging das letztjährige 9-Euro-Ticket voraus. Wir erinnern uns. Drei Monate durften wir für neun Euro quer durch Deutschland fahren. Ein Geschenk der Regierung, um uns von den steigenden Energiepreisen zu entlasten. Drei Monate überfüllte Züge, drei Monate Realitätscheck über den maroden öffentlichen Nahverkehr und drei Monate die Chance für Menschen mit wenig Geld ihre vier Wände verlassen zu können. Verwandte und Freunde konnten endlich mal wieder besucht werden. Ein Ende der Isolation und eine soziale Teilhabe innerhalb unserer Gesellschaft.
49 Euro Ticket – Mobilität für ALLE?
Faktencheck von Nicola Dülk
Ich wohne auf dem Land, in der Nähe von Trier. Laut Regelsatz Mobilität Bürgergeld stehen mir 45,02 EURO im Monat zu. Für eine Einzelfahrt zum Hauptbahnhof Trier bezahle ich 4,40 EURO. Das sind von meinem Wohnort aus drei Haltestellen. Nach Hause möchte ich aber auch wieder. Rückfahrt: 4,40 Euro. Gesamtkosten: 8,80 EURO. Im Monat kann ich mir also laut zugestandener Mobilität fünf Hin- und Rückfahrten leisten.
Das reicht weder für die Einkäufe noch für sämtliche Therapeuten- und Arzttermine, zu denen nicht nur ich muss, sondern ich auch meine Kinder begleite. Die Fahrten reichen auch nicht für meine Fahrten zur Arbeit, egal ob ehrenamtlich oder hauptberuflich. Und manche Tätigkeiten sind außerhalb der Tarifzone Preisstufe 3 noch einmal teurer.
Zum Vergleich: Ich komme ursprünglich aus Krefeld und dort fallen drei Haltestellen unter der Kurzstrecke (innerhalb 20 Minuten) und kosten 1,90 EURO als einfache Fahrt, als 4-Fahrten-Ticket sogar nur 6,60 EURO. Das sind 23 Fahrten, gehe ich von 1,90 EURO aus. 13 Fahrten mehr als hier in Rheinland-Pfalz.
Auch gibt es in Krefeld das sogenannte “Ticket 1000”, mit dem man zwar erst ab 9 Uhr morgens fahren kann, dafür ist es ohne weitere Einschränkungen wie ein normales Monatsticket nutzbar. Die Kosten liegen knapp über dem im Bürgergeld vorgesehenen Satz bei 49,50 EURO.
Übrigens gelten hier (VRT/Trier) Jugendliche ab 15 Jahren als Erwachsene im Fahrpreis. Meine Tochter bezahlt also mit 17 Jahren die gleichen Preise wie ich. Sie hat dafür jedoch nur nach dem Bürgergeld-Regelsatz 26,48 EURO im Monat zur Verfügung. Kinder von 6-13 Jahren stehen immerhin noch 27,72 EURO zur Verfügung und von 0-5 Jahren 29,27 EURO; wobei in vielen Verkehrsverbünden Kinder in dem Alter kostenlos mitfahren, sofern ein Elternteil sie begleitet. Beim Deutschlandticket fahren Kinder bis zum sechsten Lebensjahr generell kostenlos mit.
Sozialticket: In manchen Städten oder Regionen werden sogenannte Sozialtickets zu einem weitaus günstigeren Tarif angeboten. Allerdings muss hierbei erwähnt werden, dass sich diese Tickets in der Regel auf eine bestimmte Stadt (Tarifgebiet) beziehen und nicht darüber hinaus. Manche Angebote liegen knapp unter dem Betrag von 45,02 EURO, andere liegen mit den monatlichen Kosten etwas darüber.
Ich komme also zum folgenden Schluss: Der monatliche Mobilitäts–Pauschalbetrag beim Bürgergeld in Höhe von 45,02 EURO für einen alleinstehenden Erwachsenen, ist je nach Wohnort, Region, Verkehrsverbund oder Bundesland für Bezieher von Bürgergeld unterschiedlich im Gegenwert und benachteiligt allein dadurch schon einen großen Teil Armutsbetroffene im Bereich beruflicher und sozialer Teilhabe, sowie in der Gesundheitsfürsorge.
Finanzierung der Mobilität mit dem 49 EURO Ticket
Oder sagen wir eher Unterfinanzierung und Kompensation. In den vergangenen drei Jahren sind die Lebenshaltungskosten explodiert. Erst war die Coronapandemie der Grund, dann griff Russland die Ukraine an und ab da erhöhten sich die Preise für Lebensmittel, Energie, Mobilität, soziale Teilhabe, Gesundheitsfürsorge und medizinische Versorgung fast wöchentlich.
Inzwischen haben sich die Verbraucherpreise zwischen vier und über 30 Prozent verteuert, Strom und Heizkosten sind extrem angestiegen und Bezieher von Grundsicherungen, wie ich zum Beispiel, vollziehen Monat für Monat einen Drahtseilakt um zu überleben und nicht allzu tief in Schulden zu geraten oder zumindest nicht weiter hineinzuschlittern.
Erwachsenen Mobilität: 45,02 EURO
Kinder Mobilität:
0 -5 Jahre: 29,27 Euro (Achtung, Kinder bis 6 Jahren fahren beim Deutschlandticket kostenlos mit)
6-13 Jahre: 27,72 Euro
14-17 Jahre: 26,48 Euro
Ab dem 7. Lebensjahr besteht für Kinder eine Unterfinanzierung von über 20 Euro im Monat beim Deutschlandticket. Für Erwachsene immerhin noch knapp vier EURO.
Kürzlich meinte jemand auf Twitter tatsächlich, wer wie ich am Monatsanfang Miete zahlen, tanken, einkaufen und Rechnungen bezahlen kann, wäre nicht arm!
Fakt ist, dass ich jeden Monat mit meinen Finanzen jonglieren muss. Ja, ich versuche meine Rechnungen zu bezahlen, um Folgekosten zu vermeiden. Klappt aber nicht immer. Manchmal brauchen die Kinder neue Klamotten, da sie noch im Wachstum sind oder die Billigklamotten so schnell unbrauchbar werden, dass sie nicht mehr zur Schule oder für die Arbeit angezogen werden können.
Oder eins der Kinder ist auf einen Geburtstag eingeladen, möchte sich mit Freunden treffen. Auch da muss ich einsparen, damit sie nicht zurückstehen müssen. Wo spare ich ein? Bei mir. Seit Jahren schon. Das betrifft nicht nur Bekleidung, sondern auch Medikamente und Nahrung. Letzteres hat sich auf meine Gesundheit ausgewirkt. Ich bin inzwischen Diabetikerin, bedeutet ich muss mehr Medikamente nehmen. Mehr als mir für Gesundheitspflege zusteht. Ich würde gerne Sportangebote wahrnehmen, wie z.B. Schwimmen, dass für meine zerschlissenen Knochen ideal wäre. Kann ich mir nicht leisten. Ich habe nicht mal mehr einen Badeanzug, der hat im vergangenen Jahr noch die Badesaison durchgehalten und ist nach 10 Jahren den Weg allen irdischen gegangen.
Ich jammere nicht. Was ich damit sagen möchte: Das 49 EURO Ticket ist für uns nicht leistbar. Generell ist Mobilität mit ÖPNV für uns nicht leistbar. Ich kann nirgends mehr irgendwas abknapsen. Jedenfalls nicht ohne weitere gesundheitliche Schäden in Kauf zu nehmen. Von der psychischen Belastung fehlender sozialer und gesundheitlicher Teilhabe fange ich gar nicht erst an. Dafür gibt’s Medikamente, die ich mir auch eigentlich nicht leisten kann.
Deutschlandticket im monatlichen ABO!
Das Deutschlandticket wird im monatlichen Abo angeboten und gilt auch zunächst für einen Monat. Danach verlängert sich das Abo automatisch um jeweils einen weiteren Monat, bis zur Kündigung. Das zumindest sagt deutschlandticket.de. Weiterhin soll eine Bonitätsabfrage erfolgen. Und zack, könnten just die Probleme anfangen.
Bonitätsabfragen sind üblich. Bestellungen bei Versandhäusern, ein Handyvertrag oder eine Dispokredit sind i.d.R. mit Bonitätsabfragen versehen. Dahinter steckt zumeist die Schufa oder Infoscore. Die Transparenz dahinter … kennt kaum jemand, außer die Betreiber selbst. Ein kritischer Wohnort, beschert dir schon schlechtere Scorepunkte bei der Schufaauskunft. Die Einfamilienhaussiedlung in einem Dörfchen schenkt dir Punkte.
Punktevergabe, die durchaus zu kritisieren sind. Ein Blick in die Statistik der negativen Einträge in der Schufa 2021 über das Statistische Bundesamt verrät, dass knapp jede oder jeder siebte zwischen 40 und 44 Jahren (15%) mindestens ein Negativmerkmal hatte. Mit 14,7 Prozent waren die Jahrgänge von 35 bis 39 Jahren und mit 13,9 Prozent die 30 bis 34-jährigen vertreten. Die niedrigste Quote hatten die 18-19-jährigen mit 0,9 Prozent sowie die über 74-jährigen mit 2 Prozent.
Salopp gesagt: 85 Prozent der 40-44-jährigen haben immer noch die Chance ein 49-Euro-Ticket zu erhalten. Wozu diese Aufregung in den sozialen Netzwerken? Das Deutschlandticket soll einfach sein und Mobilität für alle möglich machen. Alle? Eben nicht. Einfach? Eben nicht. Ausschluss? Eben ja. Fahre ich mit einem Einzelticket am Automaten von A nach B, ziehe ich es per Giro- oder EC-Karte oder mit Bargeld raus oder zahle am Schalter. Und wieder wird es verkompliziert. Die einfache Möglichkeit, dieses Ticket am Schalter zu kaufen, wird erst gar nicht in Betracht gezogen. Deutschland braucht die Bürokratie. Warum auch einfach, wenn es kompliziert geht. Schließlich muss ja ein Grund gefunden werden, wenn es scheitert. Und wenn es die Bürokratie selbst ist. In diesem Sinne: Einen schönen Tag!
Das Highlight der Woche 11/2023 wurde geschrieben von Nicola Dülk und Inge Hannemann.